Popkultur und Leitkultur haben mehr gemeinsam als man auf den ersten Blick denken könnte. Dennoch ist die eine Träger relevanten Wandels und die andere schlicht überflüssig.
Der Duden definiert Popkultur als „durch den Pop geschaffene bzw. davon ausgehende Kultur“. Die Leitkultur ist unterdessen die „führende, zentrale Kultur“. Auf den ersten Blick also besteht ein enger Zusammenhang zwischen beiden: Während die Leitkultur der gesellschaftlichen Identifikation dient oder wenigstens dienen soll, also dem Kulturbegriff der Mehrheit einer Gesellschaft Rechnung trägt, ist die Popkultur ausgehend vom Populären, also in der Tendenz auch dem, was in der Gesellschaft über breite Strecke hin akzeptiert ist. Gemein ist beiden auch, dass Konflikte in und mit ihnen ausgetragen werden. Und obwohl Popkultur und Leitkultur auf eine Art Welten getrennte Systeme sind, sind beide dennoch näher aneinander als man auf den ersten Blick denken könnte.
Klar, da sind die offensichtlichen Unterschiede: Leitkultur ist letztlich nichts anderes, als die repressive Reproduktion des Immergleichen, während Wandel keine Rolle spielt. Die Popkultur ist unterdessen ebenfalls streitbar, aber sie ist stets Advokat von Veränderungen, in ihr manifestiert sich Wandel, der der Leitkultur fehlt.
Beide Kultur-Typen sind begrenzt populär; beide geben die gesellschaftlichen Leitlinien begrenzt vor
Interessant ist allerdings, dass beide Kulturbegriffe ihrem Namen nicht wirklich gerecht werden: Sowohl Popkultur als auch Leitkultur sind begrenzt populär. Schaut man zum Beispiel in ausgeprägte Subkulturen ist dort wenig stärker als die Ablehnung des Populären. Häufig liegt so exemplarisch die Ablehnung von populär gewordener Musik auch darin begründet, dass sie „im Mainstream“ angekommen ist. Dabei kann es dann auch mal egal sein, dass die Musik als Solche vormals gut bewertet wurde. Sicher, Subkulturen machen eben nicht die Mehrheit der Gesellschaft aus, sonst wären sie ja gerade kein Sub-Terrain. Dennoch Sorgen sie für eine Begrenzung der Popularität. Eine Leitkultur hingegen stößt auf noch breiterer gesellschaftlicher Ebene auf Ablehnung, lediglich bei Konservativen ist sie wirklich begehrt. Das meint nicht, dass Grundgesetz oder Normen und Werte wie Höflichkeit keine Geltung mehr haben sollen. Es meint lediglich, dass Kultur nicht in vorgegebenen Bahnen ablaufen kann, die enger sind als es die Maßstäbe der freiheitlich-demokratischen Grundordnung vorgeben.
Und genau da liegt eben der andere Punkt: Sowohl Leitkultur als auch Popkultur können die gesellschaftlichen Leitlinien nur in engen Grenzen vorgeben. Während die Leitkultur beabsichtigt, die Sitten des Volks zu repräsentieren, scheitert sie an der Realität, denn dazu ist sie weder klar genug definiert noch breit genug akzeptiert. Die Popkultur schafft das im informellen Rahmen vermutlich fast besser, denn Popkultur wird ja gerade dadurch zur Popkultur, dass sie von einer breiten Masse als gut befunden wird. Doch gibt es eben jede Menge Strömungen, die andere Kulturelemente als für sich konstitutiv betrachten während sie popkulturelle Phänomene ablehnen aber zumindest nicht abfeiern. Dabei polarisiert die Popkultur doch eigentlich weniger stark als die Leitkultur.
Sicher, weder die Debatte über Leitkultur als Solche ist neu, noch die Erkenntnis, dass ein liberales Weltbild sich mit einer Forderung nach Leitkultur nicht verträgt. Und gerade das ist trotz aller Gemeinsamkeiten auch der entscheidende Unterschied zwischen beiden Kultur-Typen: Während eine freiheitliche Gesellschaft nicht akzeptieren kann, dass Akzeptanz oder Toleranz von bestimmten kulturellen Vorstellungen wie dem Handschlag zur Begrüßung oder dem Nine-to-Five-Job abhängen, muss sie mit Vorstellungen von Popkultur leben, ohne dass der Einzelne dafür Justin Bieber abfeiern müsste.
So ähnlich sich Popkultur und Leitkultur also sein mögen, ist diese Differenz von entscheidender Bedeutung. Somit ist die Popkultur Träger von Wandel, der die Gesellschaft beeinflusst und wenigstens dadurch relevant ist. Leitkultur ist hingegen schlicht überflüssig, weil sie für die Gesellschaft keinerlei Funktion erfüllt. Das bedeutet nicht, dass die Gesellschaft keine Regeln für ihr Zusammenleben definieren muss. Die Abwesenheit von Leitkultur geht aber eben noch lange nicht mit einem Werteverfall einher.
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