Wir Deutschen feiern unseren Nationalfeiertag quasi nicht. Ich glaube, wir sollten das ändern, ohne dabei unvorsichtig zu sein. Denn es gibt gute Gründe, das nicht zu tun. Und gute Gründe, es doch zu tun.
Ich kann verstehen, dass Nationalstolz mitunter abgelehnt wird. Schon klar, es ist keine [[Leistung]] als Bürger der Bundesrepublik Deutschland geboren zu werden. Man ist es einfach, oder man ist es nicht. Einen deutschen Pass zu haben, in Deutschland zu leben oder zumindest dort leben zu dürfen ist – vor allem rein wirtschaftlich betrachtet – sicherlich ein Privileg. Und doch gibt es mitunter Momente, in denen ich ein gewisses Gefühl empfinde, dass Stolz nahe kommt. Nicht nur, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft ein großes Turnier gewinnt. Auch im Kleinen. Gleiches gilt auch für meine Heimat, ebenso für meine Wahlheimat, selbst wenn man Dinge Kacke findet oder, wenn die AfD mal wieder ein geiles Wahlergebnis abliefert. Jedenfalls finde ich, dass man Stolz sein darf. Es ist ein diffuses Gefühl, dass sich nicht logisch erklären mag und doch fühle ich mich oft Menschen näher, die aus meiner Nähe kommen und freue mich, wenn die deutsche Fußballnationalmannschaft gewinnt. Ich bin auch eine Art Lokalpatriot und freue mich, wenn mir Menschen erzählen, dass ihnen meine Heimat gefällt. Und das obwohl ich doch nichts für die schön kultivierten Weinberge kann.
Das ist kein Widerspruch zur kulturellen Offenheit. Ich bereise wie viele andere in meinem Alter die Welt, lerne Menschen kennen, kommuniziere mit Menschen über den Globus verteilt. Und auch hier fühle ich mich vielen Menschen verbunden, ob sie mir ähnlich sind oder nicht, ob sie aus ähnlichen Kulturen stammen oder nicht. Und oftmals möchte ich dann sogar ganz bewusst den Kontakt zu Deutschen vermeiden und empfinde vieles, was man als typisch Deutsch bezeichnen könnte als bräsig, lahm, dumpf oder schlicht uninteressant.
[[Wir Deutsche]] habe ich oben gesagt. Wer ist das überhaupt?
Im Deutschsein, wenn man das so überhaupt sagen kann, lehne ich vieles abgrundtief ab. Sehr oft denke ich [[Wow, ist das Deutsch]]. Und meine es nicht gut. Aber selbst in diesem Gedanken bin ich gleich selbst wieder total deutsch. Im Guten wie im Schlechten und immer in Betracht ziehend, dass das reine Dasein mit deutschem Pass natürlich keineswegs bedeutet, dass alle diese als [[deutsch]] anerkannten Eigenschaften tatsächlich zutreffen, genauso wie das für Menschen aller anderen Nationalitäten gilt. Denn ein Pass macht natürlich keine Identität aus, auch wenn seine Abwesenheit ob der damit einhergehenden Rechte Einfluss aus Gefühle von Identität haben kann.
Jedenfalls gibt es eigentlich nichts, was [[die Deutschen]] tun. Es gibt Dinge, die eine Mehrheit der deutschen Staatsbürger machen oder die man als kulturelle Eigenheit bezeichnen könnte. Oder als kulturellen Brauch. Und doch, bin ich nicht gezwungen das mitzumachen. Trotzdem bin ich integriert. Was unterscheidet mich in dem Fall von einem vermeintlich Unintegrierten? Und warum werde ich niemals aufgefordert, Deutschland zu verlassen und eine Staatsministerin, die nur einen deutsche Pass hat, soll nach Anatolien gehen, obwohl sie das offenkundig nicht möchte?
Nationalfeiertage in einer grenzenlosen Welt?
Nun ist es für Nationalstaaten üblich, ihre Nationalfeiertage zu zelebrieren. Wer Nationalstaaten in Gänze ablehnt, der wird auch Feierlichkeiten ablehnen. Als Kind habe ich meine Mutter gefragt, warum es nicht nur ein Land in der Welt gibt. Aber selbst wenn man das anstrebt, ist es nicht unmöglich Feiertage wie den der Deutschen Einheit zu begehen. Schließlich ehren Sie Dinge wie Brüderlichkeit, Emanzipation oder Freiheit. Selbst wenn also die Illusion einer grenzenlosen Welt einmal Wirklichkeit werden sollte, heißt das nicht, dass diese Dinge nicht mehr einer Feier würdig wären – sie sollten nur auf Integration abzielen und nicht auf Exklusion. Es gilt also nicht, die Nationalität oder die Staatenbildung als Solche zu Feiern, aber wäre es nicht gerade richtig, die dem zu Grunde liegenden Werte hochleben zu lassen?
Ich muss sagen: Ich habe die Deutsche Einheit nie in besonderer Form gefeiert. Ich habe auch nie gemerkt, dass es Feierlichkeiten dieser Art geben würde. Klar, es gibt in einer Stadt des Landes die zentrale Veranstaltung der Bundesrepublik. Aber diese Feier ist keine Veranstaltung, die in irgendeiner Form nah an Menschen wäre. Ganz im Gegenteil, es gäbe auch bessere Möglichkeiten als die Einheit mit Max Giesinger und Adel Tawil zu begehen und das sieht vermutlich sogar die bräsige Mehrheit der Deutschen so. Wäre es also nicht gerade um die Betonung der Brüderlichkeit, der Freiheit oder der Einheit, um nur einige zu nennen, richtig, dass alle Menschen Feiern, dass es diese Werte gibt und zugleich ein Zeichen für die Menschen setzen, die noch ohne diese Dinge auskommen müssen?
Denn das bedeutet dann gerade, dass völkisches Gedankengut auf keine Art akzeptabel wäre, sondern mit den Feierlichkeiten in diese Richtung genau das Gegenteil betont würde. Man mag nun sagen, dass es in einem Jahr, in dem Rechtsextreme und Menschen, die zumindest Rechtsextreme in ihrer Partei dulden in den Bundestag eingezogen sind, der absolut falsche Ansatz ist, Deutschland mehr zu feiern, als wir es bislang getan haben. Ich glaube, das Gegenteil ist der Fall: Wenn wir nicht Deutschland als Solches feiern, sondern eben Einheit und Co., dann widersprechen wir einerseits jenen, die sagen, dass niemand bereit ist, dieses Land zu feiern, nämlich indem das gefeiert wird, was aller Ehren wert ist. Gleichzeitig aber wird eben keine [[erinnerungspolitische Wende um 180 Grad]] vollzogen, denn die darf es gerade in Deutschland niemals geben. Die Verbrechen des Nationalsozialismus dürfen niemals als irrelevant dargestellt werden, auch dürfen die Soldaten der Wehrmacht nicht als Helden verehrt werden.
Und was ich auch nicht sagen will: Es sollen nicht alle ohne Rücksicht zu Feierlichkeiten aufgefordert werden. Wie gesagt: Die Gefühle sind diffus und sie sind schon gar nicht zu verordnen. Wem nicht danach ist, die Freiheit oder die Brüderlichkeit zu zelebrieren, der kann, soll und wird es nicht tun, schon gar nicht kann man ihm Feierlichkeiten aufzwingen. Dafür gibt es vernünftige Argumente, eben gerade im Hinblick auf die Geschichte. Und auch wenn es gute Gründe gibt, den Tag der deutschen Einheit nicht feierlich zu begehen, glaube ich, dass es auch gute Gründe gibt, genau das doch zu tun, und zwar ohne dabei Schuld und Geschichte zu vergessen. Trotzdem habe ich es auch dieses Jahr nicht getan. Aber wer weiß, vielleicht ja 2018.
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