Ausgesprochen: Auf europäischer Ebene soll funktionieren, was in Deutschland grandios gescheitert ist. Ein Vorgehen symptomatisch für die Probleme der Europäischen Union. Warum Ex-Digitalkommissar Oettinger das Internet nicht verstanden hat.
Wer ein Werk schafft, der ist ein Urheber. Für diese Urheberschaft muss es eine entsprechende Entlohnung geben. Eine Abschaffung des Urheberrechts kann also keine Lösung sein, und anders als vielfach vermutet haben selbst die wenigsten Piraten gefordert. Denn ganz im liberalen Geiste muss gelten: Leistung muss sich lohnen. Wer also kreative Leistung erbringt – sei es in Text-, Bild- oder anderen Darstellungsformen – der muss dafür be- und entlohnt werden. Das ist tatsächlich unstrittig und schaut man sich die damaligen Positionen der Piraten an, so lässt sich erkennen, dass sie eigentlich nur eine Anpassung des Urheberrechts an das Medium Internet forderten, die in der konkreten Ausgestaltung allerdings diskutabel war. Dennoch, dass das Internet andere Anforderungen an das Urheberrecht erfordert, wird generell kaum angezweifelt. Kritischer wird es eine Ebene darunter: Das Leistungsschutzrecht, dessen Anforderungen weniger stark sind, ist gerade im Pressebereich umstritten. Und während die Piraten sich selbst in die Bedeutungslosigkeit gearbeitet haben, ist die Gesellschaft inhaltlich eher einen Schritt zurückgegangen, wenn man sich anschaut was EU-Digitalkommissar Günther Oettinger in den vergangenen Monaten angestellt hat.
Denn Oettinger folgt quasi blind der Linie, die unter anderem vom Präsidenten des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger (BDZV) und CEO des Axel-Springer-Verlags, Matthias Döpfner, vertreten wird: Er ist der Meinung, neben dem bestehenden Urheberrecht und über das wirkungslose deutsche Leistungsschutzrecht für Presseverlage hinaus bräuchte es ein Leistungsschutzrecht auf europäischer Ebene, das Suchmaschinenanbieter zur Kasse bittet, die ihre Inhalte so aufbereiten wie es beispielsweise Google News tut. Selbst innerhalb der Verlage scheiden sich hieran allerdings die Geister, gerade Onliner sind in großer Mehrheit dagegen. Ihr Problem: Das Leistungsschutzrecht bringt den Autoren rein gar nichts, da ihre Ansprüche vom Verlag ohnehin abgegolten werden, den Verlagen wird es aber in letzter Konsequenz auch kaum Nutzen und den Endverbrauchern schadet es sogar. Der einzige der wirklich profitiert ist das Unternehmen, das eigentlich primär zur Kasse gebeten werden soll: Google selbst.
Das in Deutschland bereits 2013 eingeführte Leistungsschutzrecht, das bis heute de facto völlig nutzlos war, zeigt wieso: Der US-Konzern reagierte nämlich einfach damit, dass er Verlage aus seinen Suchergebnissen auslistete, die die Vergütung wirklich einforderten. Ganz klar: Wo keine Texte in Verwendung sind, da kann auch kein Leistungsschutzrecht angewendet werden. Die meisten Verlage gaben Google daraufhin sofort einen Persil-Schein und erlaubten die kostenlose Nutzung unter Vorbehalt weiter. Andere Webseiten, beispielsweise Zeit Online, haben das nicht getan – und holten das schleunigst nach, als sie feststellten, dass eine fehlende Präsenz bei Google zu drastischen Einbrüchen der Besucherzahlen und somit auch zu weniger Werbeausspielungen führt. So war es in der jetzt wieder entbrannten Diskussion schließlich sogar Zeit Online selbst, das erklärte etwa 20 Prozent der eigenen Besucher kämen über Suchmaschinen, die weitaus meisten davon via Google. Gerade kleinere Seiten und Blogs sind noch viel stärker auf Google angewiesen, da sie weniger bekannt sind.
Für Google hat das einen angenehmen Nebeneffekt: Nur sie erhalten den Freifahrtschein der Verlage – auf kleinere Suchmaschinen oder Nachrichtenaggregatoren sind die Verlage nicht angewiesen, diese bekommen daher auch keine Gratislizenz. So also stärkt der Quasi-Monopolist seine Wettbewerbsposition noch weiter und das Gesetz erreicht gerade das Gegenteil seines Ziels. Dennoch ist Günther Oettinger überzeugt, dass seine Initiative richtig ist.
Als wäre das nicht schon blauäugig genug, hat Oettinger aber noch mehr parat. Auf die von Online-Chefredakteuren veröffentlichten Zahlen angesprochen, die zweifellos aussagen wie wichtig Google für die Verlage ist, meinte er überheblich:
Die Zahlen von Zeitungen, die kennen Verleger. Und Chefredakteure eingeschränkt. Also ich wüsste nicht, dass ein Chefredakteur die Einnahmen und Ausgaben jeden Tag misst. Das ist nicht sein Job. Sein Job ist der Content.
Mal abgesehen davon, dass es bei den in der Frage genannten den Traffic-Zahlen nie um Einnahmen oder Ausgaben ging, sondern eben genau darum wie viele Menschen die Seiten besuchen, unterstellt Oettinger den Journalisten eine Unkenntnis ihrer Zahlen, was an Absurdität kaum zu überbieten ist. Wer die Arbeit von Online-Redaktionen auch nur ein wenig kennt, der weiß, dass sich dort bis ins kleinste Detail mit Zahlen auseinandergesetzt wird – vielleicht sogar manchmal zu sehr. Selbst wenn es aber nicht so wäre: Was von Seiten der Redaktionen veröffentlicht wurde, waren eben keine Meinungen, es waren Daten, die aus verlagsinternen Messungen stammen. Kaum zu glauben, dass ein Chefredakteur da andere Werte vorgelegt bekommt als ein Verleger.
Aber nein, Günther Oettinger kann noch immer einen drauflegen. Als ein Deutschlandfunk-Reporter absichtlich polemisch anmerkt, dass ja eigentlich die Verlage dankbar sein müssten und wenn überhaupt sie selbst Google für den generierten Traffic bezahlen sollten, antwortet der EU-Kommissar quasi nicht, sondern zeigt sich lediglich verwundert:
Ich find’s ja gut, dass Deutschlandfunk Google-Lobbyist geworden ist. Alle Achtung. Nein ehrlich.
Realistische Betrachtung? Offenbar nicht gewünscht.
Nun mag es ein gewisses berechtigtes Interesse an einem Leistungsschutzrecht für Presseverlage geben. Nur führt eine Umsetzung immer auch dazu, dass derjenige gestärkt wird, der eigentlich zur Kasse gebeten werden soll: Google. Das bedingt die Logik des Internets in Kombination mit dem Nutzerverhalten. So lange aber die überwältigende Mehrheit der Deutschen primär mit Google im Internet sucht und die Verlage einen so hohen Anteil ihrer Besuche über die Seiten des US-Konzerns bekommen, solange kann das Leistungsschutzrecht in dieser Form nicht effektiv funktionieren.
Das sollte eigentlich auch ein EU-Digitalkommissar verstehen. Als Online-Journalist könnte man nun aufatmen, weil Oettinger künftig als Haushaltskommissar nicht mehr für das Thema zuständig ist. Schaut man aber über den Tellerrand hinaus, ist das Problem eigentlich noch ein viel Größeres – und zeigt ganz gut, warum die EU eigentlich nicht als Resterampe für gescheiterte Politiker genutzt werden sollte. Sonst produziert das nicht nur Frust bei verzweifelten Voll-Digitalen, sondern schlicht bei allen Bürgern. Dieses Gefühl sollte eine EU, die ohnehin an einem Kristallisationspunkt steht, jedoch tunlichst vermeiden.
Die Reihe [[Ausgesprochen]] setzt sich mit Zitaten auseinander, die so nicht unbedingt in der Öffentlichkeit beleuchtet wurden – aber eigentlich interessant sind.