Nicht einmal mehr einen Monat dauert es nun noch, bis die Briten ein neues Parlament wählen. Als die britische Premierministerin Theresa May Mitte April Neuwahlen angekündigt hat, kam das durchaus überraschend. Warum der Schachzug aus machtpolitischen Gesichtspunkten klug ist – aber das Wohl des Volkes ignoriert.
Sie erklärte, dass für die anstehenden Brexit-Verhandlungen Einigkeit nötig sei. Interessant daran ist, dass Theresa May eigentlich eine komfortable Mehrheitssituation im neuzuwählenden Unterhaus hat. Dort, im House of Commons, sitzen 330 Abgeordnete ihrer Konservativen Partei, dagegen sitzen de facto 314 Mitglieder der oppositionellen Parteien (nimmt man die 4 Abgeordneten der irisch-republikanischen Sinn Féin aus, die ihre Sitze nicht einnehmen einmal aus). Warum also will May schon wieder wählen, anstatt bis zum regulären Termin 2020 zu warten?
Die Brexit-Verhandlungen jedenfalls machen die Wahlen nicht einfacher: Zwei Jahre bleiben nach Einreichen des Austrittsantrages des Vereinigten Königreichs Ende März bis zum Austritt aus der EU, so sieht es Artikel 50 des Vertrags über die Europäische Union vor. Europäischer Rat und Großbritannien können diese Frist im Einvernehmen verlängern. Nur darauf verlassen, dass die EU das auch tatsächlich tun würde, sollte man sich kaum. Bis also im Juni gewählt ist, sind es statt 24 schon weniger als 22 Monate, bis letztlich die Regierung gebildet ist vermutlich gerade noch 21 Monate, wenn überhaupt. Solange ist Theresa May – zumindest ein Stück weit – eine Lame Duck.
Damit die Neuwahlen überhaupt zustande kommen können, bedurfte es auch oppositioneller Zustimmung – eine Zweidrittelmehrheit musste dafür votieren. Unterstützung gab es dabei von der Labour-Partei und ihrem Vorsitzenden Jeremy Corbyn, wobei der sich in sozialdemokratischen Kreisen kaum mehr großer Beliebtheit freut.
Das gute Ergebnis für die Tories wird kommen
Die Zustimmung gab es, obwohl für Labour laut Umfragen kaum mit einem guten Ergebnis zu rechnen war und ist: Seit der Ankündigung haben sich die regierenden Tories sogar noch verbessert, liegen deutlich über 45 Prozent, in einzelnen Umfragen sogar bei 51 Prozent. Labour hingegen kommt auf Ergebnisse um 25 Prozent, selten einmal deutlich höher. Die Anti-Brexit Partei der Liberaldemokraten liegt um elf Prozent, während das One-Trick-Pony UKIP laut Umfragen droht in die Versenkung zu fallen.
Nun sagen diese Werte auch deshalb nicht zu viel aus, weil die Briten kein Verhältniswahlrecht haben, sondern jeder Wahlkreis nach Mehrheitswahlrecht vergeben wird. Das könnte den eigentlich schwachen Liberaldemokraten diesmal ausnahmsweise in die Karten spielen, wenn viele Anti-Brexit-Regionen stark liberal wählen. Labour wird es wohl nicht guttun. Den Tories aber schon. Warum also bis 2020 warten mit den Neuwahlen?
May und das [[falsche Spiel]] – Wer sind die Player?
Interessant ist vor allem, dass Theresa May ihren Gegnern vorwirft, ein [[falsches Spiel]] zu treiben, wie Zeit Online nach der Ankündigung berichtete. Das soll womöglich eine Anspielung auf den – demokratisch ja durchaus gerechtfertigten – Parlamentsvorbehalt anspielen, der aber den Brexit nie verhindern sollte. Nun mag man durchaus Gründe für den Vorwurf Mays finden, so man danach sucht. Sie selbst aber scheint dabei keineswegs positivere Motive zu haben.
Natürlich will May die starken Umfragewerte nutzen, um ihre Macht zu zementieren und auch als vom Volk bestätigte Premierministern auftreten zu können. Gleichzeitig verhindert sie so, dass die kommenden Wahlen in eine Zeit in kurzem Abstand zum letztlichen Austritt aus der EU stehen, in dem mögliche negative wirtschaftliche wie soziale und politische Effekte bereits wirksam werden. Logisch, Abstimmungen zu einem solchen Zeitpunkt würden sich für eine Regierungspartei kaum positiv auswirken.
Nur führt das auch dazu, dass Großbritannien jetzt, an einem so neuralgischen Punkt, in einer Phase in der jeder Tag für Verhandlungen zählt, in eine Phase des Wahlkampfs gefallen ist. Jetzt also ist die britische Regierung kaum mehr handlungsfähig. Und mal ehrlich: Es nervt ja schon, wenn in Deutschland die Politik eingestellt wird, um in den Wahlkampfmodus (wohlgemerkt zu regulär anberaumten Wahlen) zu schalten. Nur steht für die deutsche Politik (in isolierter Betrachtung) nicht eine der wichtigsten Verhandlungen der letzten Jahrzehnte an, selbst wenn der Brexit auch für die Bundesrepublik nicht irrelevant ist. Viel zerstörerischer aber ist ein solcher Stillstand für Großbritannien, zumal er hausgemacht und unnötig ist.
Letztlich aber scheint für Theresa May das machtpolitische Kalkül entscheidend zu sein. Das Wohl des Volkes? Na ja, es gibt Wichtigeres.
Update, nach den Wahlen: Hahahahahahahahaha, Theresa May, hahahahaha. Aber mal im Ernst: Es wäre lustig, wenn es nicht das wohl des Volkes betreffen würde. Theresa May hat sich verzockt, ist mit ihrer arroganten Haltung auf die Schnauze geflogen. Selbst wenn sie jetzt erfolgreich eine Regierung bilden sollte, hat sie ihre eigene Position geschwächt. Und die des Volkes noch weiter. Das passiert wenn das Streben nach Macht das Streben nach Bürgerwohl übersteigt.